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Hochschulmanifest der Frauen
und die Hochschule der Frauen
Quelle: Wissenschaftlerinnen-Info, Nr. 11, 1989

Der Versprechen sind genug!

Dieses Manifest wehrt sich gegen öffentliche Versprechen zugunsten von Frauen in einer Zeit, in der verbale Deklamationen zum politischen Geschäft gehören, während die allgemeine Wissenschafts- und Hochschulpolitik größtenteils nach traditionellen Privilegienstrukturen verläuft.

Die Perspektive als bloße Opfer haben Frauen inzwischen verlassen. Als historisch "neue" Subjekte in der Wissenschaft formulieren sie hier Ansprüche und Visionen für alle: Gleichwohl sind sie auch noch durch Wissenschaft benachteiligt und in der Forschung vergessen. Wie alle Diskriminierten klagen sie Solidarität ein, nicht nur für Frauen, aber besonders für sie.

I. Bestandsaufnahme
1. Situation und Perspektiven von Wissenschaftlerinnen

Neu ist, daß Frauen ihre Intelligenz und ihr Engagement zur Definition von Wissenschaft und Kultur einsetzen. Neu ist, daß Frauen ein relevantes Publikum geworden sind, für das zu schreiben und zu denken sich für kluge Frauen lohnt. Neu ist, daß Frauen ganz bewußt Wissenschaft als gesellschaftsverändernden Machtfaktor, als Möglichkeit zur Emanzipation betrachten.

Im ursprünglichen Sinn heißt Emanzipation einerseits Entlassung aus der Sklaverei und andererseits auch Entlassung aus der Vormundschaft des patriarchalen Vaters. Frauen haben sich im Bereich der Hochschulen erst sehr spät aus patriarchaler Bevormundung und Entrechtung befreien können ? und bis heute gesteht man ihnen nicht ohne weiteres eine eigenständige wissenschaftliche Existenz und Karriere zu. Nach 1908 wurde ihnen der allgemeine Hochschulzugang eröffnet, nach 1919 hat man einzelnen Frauen die Habilitation ermöglicht. Doch bereits in den 30er Jahren wurden Wissenschaftlerinnen, weil sie Frauen waren, wieder aus den Hochschulen vertrieben. Für studierende Frauen bestand zeitweise ein geschlechtsspezifischer Numerus Clausus, der nicht mehr als 10 % Frauen zum Studium zuließ. Erst nach 1945 erhielten sie scheinbar gleiche Chancen wie die Männer. Doch erst seit den 60er Jahren treten Frauen in der Wissenschaft zunehmend häufiger auf. Sie profitierten von der Bildungsreform in den 60er Jahren, aber nicht genug. Inzwischen gibt es vielfältig existierende Varianten weiblicher Forscherinnen, die durch ihre wissenschaftliche Arbeit ihren Lebensunterhalt sichern und zwar unabhängig vom Familienstand und sozialer Herkunft. Daraus zu schließen, daß beiden Geschlechtern in gleicher Weise die Hochschulen offen stehen, erweist sich jedoch bei näherer Betrachtung als Trugschluß.

Betrachten wir die Wissenschaft und das Hochschulsystem unter dem Aspekt der Repräsentanz der Geschlechter, dann fällt die immer noch unglaublich krasse ungleiche personelle Beteiligung der beiden Geschlechter in der Wissenschaft der 80er Jahre auf. Dieser Sachverhalt stellt nicht nur eine strukturelle Diskriminierung dar, sondern produziert auch blinde Flecken in der wissenschaftlichen Erkenntnis und verhindert angemessene Umgangsformen zwischen den Geschlechtern - nicht nur an der Universität.

2. Strukturelle Diskriminierungen und Kritik an der herrschenden Wissenschaftspolitik

Folgen wir den neuesten Rechtsprechungen aus den USA, dann liegt eine strukturelle Benachteiligung von Frauen vor, wenn eine objektiv überprüfbare Datenlage ein als ungerecht empfundenes bzw. ungleichgewichtiges Zahlenverhältnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in einem Unternehmen bzw. Berufsbereich ausweist. Diese Diskriminierung ist unabhängig von den subjektiven Intentionen einzelner Individuen. Der Diskriminierungsprozeß hat seine Grundlagen in gesellschaftlichen Strukturen und Verhaltensweisen. Die statistischen Daten der Auswirkungen der Beschäftigungspolitik bzw. der Einstellungspraxis sind die Fakten. Die Auswirkungen dieser Politik und nicht ihre Absichten sind als Beweis für Diskriminierungstatbestände heranzuziehen.

Gegenwärtig finden sich kaum Wissenschaftlerinnen in selbständigen und gesicherten Ämtern an den Hochschulen (auf C 4 und C 3-Stellen), dagegen relativ mehr auf befristet und weisungsgebundenen Stellen im Wissenschaftsbetrieb (10 -15 Die meisten sind als "Hilfskräfte" in der Wissenschaft beschäftigt. Eine "dunkle" Anzahl lebt als freischaffende Intellektuelle ( mit und ohne akademische Titel) vom Verkauf ihrer Ideen und intellektuellen Leistungsfähigkeit in Projekten, mit Werkverträgen oder als "freie" Mitarbeiterin.

Trotzdem tritt heute die junge Generation von Frauen selbstbewußt auf. Etwa 20% der Jugendlichen eines Jahrgangs machen das Abitur, davon die Hälfte Frauen, vielfach mit den besseren Notendurchschnitten als die männlichen Schüler. Aber diese (bessere!) Bildung und Qualifikation genügt offensichtlich nicht, um in dieser Gesellschaft als Frau entsprechende öffentliche Mitsprache- und Mitentscheidungsbefugnisse zu erlangen, vielmehr entscheidet offensichtlich immer noch die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht über einflußreiche gesellschaftliche Teilhabe.

Ginge es in der Wissenschaft und bei Stellenbesetzungen an den Hochschulen ausschließlich um die Auslese der Besten, dann müßten die Frauen, die in den letzten 20 Jahren sensationell in ihren Bildungsanstrengungen aufgeholt haben, zur Zeit glänzende Chancen haben.' Wir haben heute die bestausgebildete Generation junger Frauen, die wir in der deutschen Geschichte je hatten, aber in Relation dazu, ist sie die Generation mit den schlechtesten Berufschancen im akademischen Bereich, besonders In der Wissenschaft.

Die mittelbare Diskriminierung, die Frauen aus qualifizierten Berufsbereichen ausschließt und sie aus Entscheidungspositionen heraushält, wird in der Bundesrepublik inzwischen - nicht nur von den Betroffenen zunehmend als politischer Skandal begriffen. Frauen fordern daher eine anteilsmäßige Berücksichtigung bei der Verteilung qualifizierter Arbeitsplätze. Das ständige Verweisen auf ihre formale Chancengleichheit genügt nicht mehr. Die Forderung nach "numerischer Gleichheit" (= 50 % aller Stellen für Frauen) radikalisiert das Gleichheitstheorem und verlangt endlich eine Umsetzung.

Die Instrumente zur Herstellung von Gleichheit sind inzwischen bekannt: Frauenförderprogramme, Antidiskriminierungsgesetze sowie Quotierungen, greifen männliche Privilegien an. Sie können die herrschenden patriarchalen Wissenschafts- und Hochschulstrukturen positiv verändern.

Neben diesem artikulierten Eigeninteresse an einer Demokratisierung als Gleichbehandlung der Frauen gibt es auch eine Bezugnahme zu einem kollektiven Interesse an der Hochschulentwicklung der letzten Jahre:

1.: Die Neuregelung des Hochschulrahmengesetzes mit der rückwärts gewendeten Personal? und Mitbestimmungsstruktur hat für die Frauen keinen Fortschritt gebracht. Die Einsparungen und Umverteilungen im Wissenschafts- und Hochschulbereich führen zu interner Besitzstandswahrung und zu noch stärker ausgeprägtem Konkurrenzverhalten. Sie zerstören weitgehend die sozialen Verkehrsformen und erschweren und blockieren wissenschaftliche Reflexion. Die Kurzfristigkeit der finanzierten Forschungsprojekte und die Befristetheit der Arbeitsverträge - dies sind überwiegend die Stellen, die Frauen angeboten bekommen - begründen eine schnelle Rotation des wissenschaftlichen Personals. So kann im Mittelbau kaum jemand eine kontinuierliche wissenschaftliche Perspektive aufbauen. Es ist keine Seltenheit in 10 Jahren 11 Verträge zu haben. Wenn keine kontinuierliche Berufsperspektive entwickelt werden kann, hat dies die neue soziale Figur des wissenschaftlichen Springers bzw. der wissenschaftlichen Springerin zur Folge, mit der sehr einleuchtenden Konsequenz der wissenschaftlichen Verflachung, weil weder profundes Wissen angeeignet, noch ein stetiger wissenschaftlicher Austausch statt finden kann.

2.: Darüber hinaus folgt aus der erhöhten Bedeutung der heutigen Drittmittelforschung oft eine Einseitigkeit und Zersetzung der Disziplinen. Forschung als Auftragsforschung wird dabei zur abhängigen Forschung. Denn die auftraggebende und fördernde Politik ist meistens nicht an den sozialen Problemen der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusammenhang interessiert, sondern "nur" an kleinen Mengen "lösbarer", bearbeitbarer Probleme. Die Folgen sind Verluste der wissenschaftlichen Theorietradition und des Anspruchsniveaus, weil in der Regel nicht eine aufklärerische Absicht, sondern ein schnelles Verwertungsinteresse und hohe Erfolgserwartungen Gründe für die Auftragsvergabe sind. Dies hat auch Auswirkungen auf die Existenzbedingungen von Forscherinnen. Die Suche nach Stellen, Verträgen und Jobs bindet die Energie, die z.B. für die Vermittlung von Forschungsergebnissen sinnvoll wäre. Die Abkoppelung von Lehre und Forschung ist fast schon perfekt.

3.: Trotz des hohen Stellenabbaus und der Kürzung der Forschungsmittel in den Sozial- und Geisteswissenschaften hält die offizielle Wissenschaftspolitik ungerührt und optimistisch an ihrem Fortschritts? und Erfolgsglauben fest, wobei die Naturwissenschaften und die Technik als alleinige Hoffnungsträger für die Zukunft stilisiert sind. Eine bescheidene Ausnahme ist das Programm "Sozialverträgliche Technikgestaltung NRW". Einseitig werden technologische Innovationen gefördert, während die weitere Entwicklung sozialer und humaner Ressourcen aus den Hochschulen ausgeklammert und dem Zufall überlassen wird. Diejenigen, die sich der Technologieforschung nicht mit Haut und Haaren verschrieben haben, werden als sozialer Ballast auf den Müllplatz der Geschichte geworfen. Versuchen die Betroffenen sich zu wehren, wird ihnen suggeriert, sie stören den Fortgang der gesellschaftlichen Entwicklung. Die offizielle Politik ist peinlich bemüht, die VerliererInnen zu Outsidern mit verrückten und anachronistischen Ansichten zu stempeln.

Wir fragen:

1.) Qualifizieren die "neuen" technologischen Entwicklungen und die ihnen zugeordneten Bezugswissenschaften die jungen Menschen wirklich hinreichend ?

2.) Wie steht es mit der Selbstausbeutung und dem Verfall von Humanqualifikationen?

3.) Wer wird Entwicklungen kontrollieren und wie werden Entwicklungen kontrolliert, deren mittel- und langfristige Folgen noch gar nicht abzusehen sind?

4.) Was passiert, wenn einige der gegenwärtig geförderten Technologien destruktive Potentiale mit sich bringen, die technologisch nicht bewältigt werden können?

5.) Wer trägt Sorge dafür, daß mit dem forcierten technologischen Fortschritt nicht wertvolle Traditionen, Naturressourcen und Menschen in gegenwärtig nicht übersehbaren Dimensionen unwiederbringlich geopfert werden?

4.: Zusätzlich führt die Rationalisierung von Stellen im Schreibdienst dazu, daß die Wissenschaftlerinnen -oft im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen - ihre eigenen Schreibkräfte werden. Die noch dienstleistenden Frauen im Verwaltungs- und Schreibdienst an den Hochschulen werden bei fehlenden Höhergruppierungsmöglichkeiten und gehäuften Anforderungen intensivst ausgebeutet. An dieser Stelle entstehen hohe menschliche Kosten bei relativ geringfügigen Einsparungen.

3. Wissenschaft in der Krise und die feministische Forschung

Während auf der einen Seite der Wissenschaftsoptimismus gepflegt wird, zeichnen sich auf der anderen Seite Phänomene einer Krisendiagnose von Widerstandspotentialen ab: von der Krise der Befreiungsbewegung, der Krise sozialistischer Utopien, der Krise der Arbeiterbewegung, der Krise der Arbeitsgesellschaft wie von der Krise der Wissenschaft ist die Rede. Die Natur- und Gesellschaftswissenschaften, die gegenseitig und miteinander um ihr Prestige ringen, haben den Kampf um ungeteilte gesellschaftliche Anerkennung längst verloren: durch ihre eigenen Produkte und die scheinbare Beliebigkeit ihrer Theorien. Eine Flut von Detailerkenntnissen ergibt noch keine theoretische Deutung des Geschehens und auch keine Systemtheorie. In dieser Zeit scheint auch die geisteswissenschaftliche Forschung den emanzipatorischen Auftrag früherer Intellektueller aufgegeben zu haben, als entmystifizierende Kraft aufzutreten und die gesellschaftliche und technische Entwicklung kritisch zu begleiten. Allzu sehr ist sie mit ihrem eigenen überleben beschäftigt.

Das Festhalten an Emanzipation und Veränderung durch Wissenschaft findet sich heute vor allem in der feministischen Wissenschaft. Das feministische Wissenschaftsverständnis beinhaltet Gegenfragen, Querdenken, Widerspruch und Einspruch. Indem die Feministinnen die Frauen ins Zentrum ihrer Analyse stellen, wird die bisher vorherrschende (euro?)androzentrische Weltsicht der Wissenschaft freigelegt und kritisiert. Beispiele für den Perspektivwechsel sind die Thematisierung von Haus- und Erziehungsarbeit als die andere Seite der Medaille "Erwerbsarbeit" -oder im internationalen Zusammenhang die grundlegende Bedeutung der Produktion in der sogen. Dritten Welt für die Erste Welt -oder die Frage, wer profitiert von der als historischem Fortschritt gefeierter Koedukation? Durch den Perspektivwechsel wird der Blick auch für die Tatsache frei, daß die bisher vorherrschenden Paradigmen bezüglich Naturwissenschaft und Technik einseitig waren, womit auch die angebliche Objektivität und Neutralität der bisherigen Wissenschaft in Frage gestellt ist. Obwohl das Geschlecht als Kategorie angeblich ausgeschlossen war, war das männliche Geschlecht implizit Nutznießer dieser Art der Wissenschaft.

Die Anwendung der wissenschaftlichen Kategorie "Geschlecht" verweist darüber hinaus auf einen überlieferten abendländischen Dualismus von Körper und Geist (Seele), der verdeutlicht, daß das androzentrische Weltbild die Verfügbarkeit des Geistes über die Körper zur Voraussetzung hat. Die feministische Wissenschaft hat auch veranschaulicht, daß die gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen gleichzeitig an ihre Idealisierung als Mütter gekoppelt ist.

Indem die feministische Wissenschaft diese Art der Parteilichkeit zugunsten patriarchaler Welt- und Menschenbilder entlarvt und infragestellt, und indem sie diesen eine Parteilichkeit zugunsten bisher unterdrückter Menschen entgegenhält, konnte sie auch die Utopie einer möglichen neuen Lebensweise und Wissenschaft entwickeln. Diese ist - unter den beschriebenen Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen - natürlich noch nicht ausgereift und erprobt, dennoch soll hier im folgenden "Die Hochschule der Frauen" erstmalig einer interessierten Öffentlichkeit als Denk? und Diskussionsansatz vorgestellt werden.

II. Die Hochschule der Frauen
1. Das Modell : Die Hochschule der Frauen

Frauen fordern analog zu den heute existierenden reinen Männerhochschulen (Bundeswehrhochschulen) und zu den männlich dominierten bestehenden Hochschulen ein historisch längst überfälliges Experiment : eine Hochschu1e der Frauen von Frauen für Frauen ohne jegliche Mitwirkung männlicher Wissenschaftler und Studenten.

Diese Hochschule wird ein Ort sein, an dem die Frauen ein Zuhause haben, nicht einen Stuhl auf dem Flur des ansonsten von Männern überfüllten Hauses, auch keine Dachkammer für die habilitierte Wissenschaftlerin, die stets von der Kündigung bedroht ist. Nicht einmal ein Arbeitszimmer repräsentativ eingerichtet für die Alibifrau genügt uns. Wir sind es leid, den Männern, den Frauen und der Öffentlichkeit stets und ständig demonstrieren zu müssen, daß wir auch leistungsfähig, durchsetzungsfähig und dominant sein können wie Männer. Eine Vizepräsidentin, schön und gut - wir fordern eine Hochschule der Frauen, in der wir alle Ämter besetzen. Hier werden wir miteinander als Frauen darum ringen, neue Maßstäbe für - Forschungsziele und Methoden, - Lehre, Lernen und Prüfungen, - Arbeitsorganisation, - soziale Verkehrsformen zu setzen.

Wir sind es leid, immer und ewig an herrschenden Maßstäben gemessen zu werden, wir werden unsere eigenen Maßstäbe entwickeln, und der "Welt" zeigen, wie eine Hochschule aussieht, die dem L e b e n dient und lebendige Lehre und lebendiges Lernen beinhaltet. Als Wissenschaftlerinnen definieren wir die Hochschule als Ort des öffentlichen Diskurses. Das Kernstück der Hochschule soll dabei wieder eine Wissenschaft werden, die ihre ehemals formulierten Prinzipien und Ansprüche ernst nimmt.

Wissenschaft, übernimmt (wieder) die Aufgabe,

  1. Frauen und Männer über ihre Geschichte, ihre Umwelt und ihre Zukunft aufzuklären;
  2. die sozioökonomischen und technischen Bedingungen für eine humane Lebensgestaltung darzustellen und ihre Veränderbarkeit und Verbesserungsmöglichkeiten zum Wohl der Menschheit aufzuzeigen;
  3. die Chancen und Risiken spezifisch menschlichen Lebens und Arbeitens zu untersuchen und Fortschritte in Bezug auf den Umgang zwischen Menschen unterschiedlicher Gesellschaftssysteme, Denkauffassungen, Rassen und Nationalitäten zu entwickeln, zum Abbau von Diskriminierungen und Herrschaft von Männern gegenüber Frauen beizutragen und Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern, aber auch von Behinderten, Kranken und Alten umfassend zu fördern.

In diesem Kontext spielt die Analyse des Geschlechterverhältnisses, seine historische Entwicklung und seine zukünftige Gestaltung eine entscheidende Rolle. Zur Neudefinition weiblicher und männlicher Identität jenseits patriarchaler Leitbilder haben ausnahmslos alle Wissenschaften beizutragen. Notwendig ist allerdings die Überwindung der isolierten Einzelerkenntnisse zugunsten der Entwicklung der Erkenntnis globaler Zusammenhänge. Angesichts der drohenden Zerstörung der Natur, also unserer Lebensgrundlagen, und den technischen Möglichkeiten zur Zerstörung unseres Lebens (Militär) brauchen wir interdisziplinär arbeitende Teams, die auf der Grundlage der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse eine neue Qualität menschenwürdiger Zukunft entwickeln. Dabei ist stets der Bezug zur gegenwärtigen Lebenspraxis auch vor Ort darzustellen und zu reflektieren. Um das leisten zu können, müssen alle alten Disziplinen, wie sie historisch geworden sind, auch wenn sie eher der mechanistisch-analytischen Wissenschaft verpflichtet sind, unter neuen Gesichtspunkten gesichtet und integriert werden. Die neue Wissenschaft wird nicht nur, patriarchalische Vergangenheit kritisch aufarbeiten und Entwicklungslinien für die Zukunft ausführen, sie wird auch unheilvolle neue Entwicklungen in der Gegenwart des kapitalistisch strukturierten Patriarchats der Weltöffentlichkeit offenlegen und in seinen ideologischen Wurzeln erkennbar machen. Wir werden einen neuen Typ von Wissenschaft kreieren, der sich den sozialen Problemen und Bewegungen in besonderer Form verpflichtet weiß. Wir werden das fast lineare Fortschreiten der jetzt herrschenden Wissenschaft, die den sogenannten Erkenntnisfortschritt betreibt durchbrechen und eine neue Qualität der Wissenschaft entwickeln. Damit ist die traditionelle Trennung zwischen dem forschenden Menschen (erkennendes Subjekt) und der übrigen Natur (erkanntes Objekt) aufgebrochen. Da alle Eingriffe, die der Mensch an der Natur und an anderen Menschen vornimmt, schwerwiegende Auswirkungen haben, sind alle Forschungen in eine Reflexion über die Folgen bewußt einzubinden. Das bedeutet, daß wir eine zu organisierende Interdependenz zwischen dem Prozess des Forschens und den zukünftigen Betroffenen herstellen werden, indem wir über mögliche gewünschte und ungewünschte Folgen gemeinsam vor -denken.

Studium- und Lehrorganisation sollte ein ganzheitliches Lernen ermöglichen, d.h. es muß die Überschaubarkeit der Hochschule gewährleistet sein. Dies wird ohne eine enge Begrenzung der Anzahl der Studierenden weit unterhalb dem heutigen Niveau nicht zu realisieren sein. Es müssen Konzepte aller an der Hochschule Beteiligter entwickelt werden können bis hinein in selbstorganisierte Projekte, Praxisorte und Studiengänge.

Fertige Theorien und Konzepte werden nicht einfach übernommen; im Prozess des Arbeitens entstehen in Bezug auf eine Praxis oder in Bezug auf einen Forschungsgegenstand neue Ideen, kreative Vorstellungen, weiterführende Ansätze, die auch die Erkenntnis über die eigene Geschichte beinhalten.

Es wird nicht nur direkt und unmittelbar auf eine Berufsausbildung hin, auf eine einzige Fachrichtung oder gar ein einziges Fach hin studiert, sondern es bedarf eines umfassenden Grundlagenstudiums, um die Vernetzung der Welt und die Komplexität von Problemlösungsstrategien zu erkennen. Das Studium wird mindestens fünf große Bereiche umfassen und auch die Persönlichkeits? und Identitätsbildung der Studierenden zum Gegenstand haben:

  • philosophisch-religiöse Fächer
  • historisch-soziologisch-politische Fächer
  • personenzentrierte Fächer
  • natur- und ingenieurwissenschaftliche Fächer
  • kreativ-gestaltende Fächer.

Innerhalb dieses großen Feldes -praktisch aller existierender Disziplinen -sollte das Studium zwar breit angelegt, jedoch zielführend gestaltet werden, um eben in der Ausbildung die Erkenntnis der Einbindung des späteren Berufs und der Aufgaben in größere Zusammenhänge deutlich werden zu lassen. Die Spezialisierung, die sich auf Berufe, Bereiche und Fächer bezieht, sollte in einer Verschränkung zwischen Wissenschaft, Praxis und Lehre geschehen, um die Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung der Interessen aus der Bevölkerung und von sozialen Bewegungen, die Einbeziehung des Wissens aus der Welt der Arbeit und der Technik, der Einbeziehung des Wissens aus der Welt der Künste und der Kulturschaffenden, im angemessenen Blickwinkel zu erkennen und zu werten. Das Studium kann sowohl konsekutiv in einem durchgehenden Strang als auch additiv über verschiedene Jahre verteilt absolviert werden.

2. Annäherung

Es ist abzusehen, daß es in nächster Zukunft zumindest zwei verschiedenartige Formen von Hochschulen geben wird:

  1. die herkömmliche Form der Universitäten
  2. die Hochschule der Frauen

Letztere ist jene ganzheitliche Betrachtungsweise unter Einbeziehung der spezifischen Möglichkeiten der Einbringung weiblicher Blickweisen und Interessen, die eine Abkehr von der einseitig ausgerichteten Orientierung auf ein berufliches Ziel und auf den androzentrischen Blick überwindet. Eine neue Form der Universität, neu in Forschung, neu in Lehre: die Hochschule der Frauen.

Hochschule der Frauen, das heißt aber nicht allein, Hochschule für die Frauen, oder Hochschule, in denen ausschließlich Frauen wirken, Hochschule der Frauen heißt : Eine Reform der bestehenden Hochschulen. In dieser Reform sind im ersten Schritt und als Voraussetzung zur Erreichung der oben umrissenen Zielsetzung der Hochschule der Frauen Quotierungen kurzfristig zu realisieren:

50 % Frauen auf allen Stellen, wie Professorinnen, Assistentinnen, usw.,

Quotierung bei der Vergabe jeglicher öffentlicher Gelder, einschließlich der Promotions- und Habilitationsstipendien, außerdem:

Poolbildung für die Stellen, die zeitweise nicht besetzt oder in Anspruch genommen werden, um damit eine Kontinuität der Arbeitsleistungen in den neuen Forschungsrichtungen zu ermöglichen.

Die Hochschule der Frauen wird Akzente setzen, wie zukünftige Universitäten aussehen und welchen Zielen sie dienen können:

  • Friedensforschung statt militärischer Forschung
  • Entwicklungen neuer umweltschonender Ressourcen statt Umweltzerstörung
  • Gleichberechtigung in Vielfalt statt formale Gleichheit in Einfalt
  • Leben statt Tod.

Quelle: Wissenschaftlerinnen-Info, Nr. 11, 1989

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