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HOCHSCHULBILDUNG VOR DEM AUSSTERBEN ?
SIGRID METZ-GOCKEL

in: links .10/93 (Quelle: Wissenschaftlerinnen-Info Nr. 17, 1994)

Die Frauenuniversität.

Ein Projekt feministischer Bildungs- und Wissenschaftskritik
Brauchen Frauen eine eigene Universität - und warum?
Warum sollte dies eine Technische Universitit sein?
Wie könnten ihre Ausbildungsgänge und Forschungsschwerpunkte aussehen?
Wie ist das Miteinander von Studierenden und Lehrenden vorstellbar?

Sigrid Metz-Göckel stellt ein Projekt vor:

"Wir brauchen eine Technische Universität für Frauen", lautet die Schlußfolgerung der Naturwissenschaftshistorikerin und Politikerin Erika Hickel. Wir brauchen sie, damit Frauen sich über ihr technisches Naturverhältnis klar werden und Einfluß auf gesellschaftliche Entwicklungen nehmen können. Alternative Technologien können, so ihre Analyse, unter den gegenwärtig konkurren-ten Bedingungen der Mainstream-Technik-forschung nicht gedeihen, wenn nicht 'eigene Räume zu ihrer Entwicklung' durchgesetzt werden. Menschengruppen, die bisher nicht gefragt wurden, obwohl sie betroffen sind, sind in die Auseinandersetzung um eine al-temative Technologie einzubeziehen. 'Nachfolgewissenschaft' nennt sie den Forschungszusammenhang, in dem "neben das traditionelle Nachdenken in der Technik gleichberechtigt das Nachdenken über Technik treten muß. Dabei erfordert diese jederzeit zurücknehmbare, von einer ständigen breiten Diskussion begleitete Umsetzung von Technologien ganz neue Sozial-Techniken der Technikbewertung" (Hickel). Die Kriterien für alternative Technologien (geringe Eingriffstiefe in Naturzusammenhänge, Werkzeugcharakter der betreffenden Technik, Mit-Produktivität der ausführenden Technikerinnen mit der Natur) sind solche, die mit einer. ökologisch und sozial-verträglichen Technikentwicklung übereinstimmen und sich durch Langsamkeit, Rückholbarkeit, Fehlerfreundlichkeit, Vielfalt u.a.m. auszeichnen.

Erika Hickel bezieht sich im weiteren auf die Denkschrift: -Hat die Technik ein Geschlecht? Für eine andere technische Zivilisation", herausgegeben von Doris Janshen 1990, in der die Idee einer Technischen Universität feministisch begründet und der Öffentlichkeit -vorgestellt wurde. Als Frauenuniversität, Hochschule der Frauen oder Technische Universität der Frauen wurde dieses neue Projekt der Frau-enbewegung und Frauenforschung inzwischen mehrfach in wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Kontexten diskutiert und auch weiterentwickelt. Inzwischen hat sich ein Förderverein für die Frauen-Universität Virginia Woolf (mit Sitz in Bremen) gebildet. Die Reaktionen auf diese neue bildungs-und wissenschaftspolitische Forderung reichen von begeisterter Zustimmung, Skepsis über Nichtbeachtung bis zur heftigen Ablehnung. Während einige Wissenschaftspolitikerinnen sie als Vision gelten lassen können, andere sie als Bagatelle ignorieren oder als unsinnig zu den Akten legten, packten Studentinnen-Gruppen sie als praktisches Projekt zügig an. Insbesondere Studentinnen der Ingenieurwissenschaften hatten massive Einwände gegen den Begriff Technische Universität, da sie jegliche Assoziation mit einer Technischen Hochschule traditionen Zuschnitts vermeiden wollen, aber sie plädieren dringend für ein provokatives Universitäskonzept (Reichert/Ihsen). Studentinnen-Hochschulgruppen 'organisierten im Februar 1992 in Bonn eine Tagung zur Frauenhochschule, an der auch die Europa-Abgeordnete Gepa Maibaum teilnahm, um die Idee in die Europäischen Gremien hinein zu tragen. Angesichts der Koedukation der Ge-schlechter an den Universitäten und Hochschulen der Bundesrepublik, angesichts fehlender formaler Behinderungen von Frauen im Studium ist die Idee einer Universität für Frauen auf den ersten Blick ein Rückschritt oder eine Idee aus dem konse rvativen oder fundamentalistischen Lager.

Trügerische Hoffnung oder lohnendes Experiment

Einem kritischen Blick kann jedoch nicht entgehen, daß die Diskriminierungen diskreter geworden und durch Segregationsprozesse und filigrane Hierarchisierungen kaschiert sind. Die Beteiligung von Frauen an den Schaltstellen der Macht in Politik, Rechtsprechung, Wirtschaft, Technik und Kultur ist trotz breiter öffentlicher Debatten kaum merklich vorangeschritten. Die Frauenuniversität ist eine conditio sine qua non für die Emanzipation beider Geschlechter, weil unsere Zivilisation androzentrisch geprägt blieb und in globaler Perspektive in den Ruin treibt. Weltweit sind wir von einer' Gleichberechtigung der Geschlechter noch, meilenweit entfernt, wie die internationalen Menschenrechtsorganisationen bestätigen. Die Frauenuniversität (oder auch mehrere, vgl. Aylâ Neusel) sollte daher eine Europa-Universität oder Welt-Universität der Frauen sein. Wenn dies kein reaktionäres oder elitäres Projekt sein soll, was daran ist fort-schrittlich und dies im übergreifenden Interesse eines Allgemeinwohls? Eine paradoxe Intervention nennt Angelika Wetterer die aktuelle Diskussion zur Frauenuniversität. Und recht hat sie. Paradox ist, daß Frauenbewegung und feministisch Wissenschaftskritik das Geschlecht zum strukturbildenden Moment ihrer politischen Strategien machen müssen, um es als soziales Klassifikationskriterium außer Kraft setzen zu können. Die Idee der Frauenuniversität folgt dem Gedanken, daß Frauen soziale Räume brauchen, in denen sie ohne Vorab-Festlegungen ihre Fragen stellen und ungehindert bearbeiten können. Wir gehen damit nicht von einem substantiellen, vielmehr von einem ex-perimentellen Verständnis von Weiblichkeit und Männächkeit aus. Wir können noch gar nicht wissen, wie Wissenschaft und Ausbildung aussähen, würden sie zu gleichen Anteilen von Frauen und Männern gestaltet. Frauen sind Spurenelemente in der Wissenschaft geblieben und als Spätankömmlinge und Außenseiter einem massiven Anpassungsdruck ausgesetzt. Die feministische Bildungs- und Wissenschaftskritik ist ein Prozeß der Auseinandersetzung mit der herrschenden Wissenschaft und Ausbildung und die Begründungen für die Frauenuniversität sind keineswegs neu und mit der Hochschul- und Studienreform auf vielfältige Weise verknüpft.

1. Feministische 'Freiraum- und Kontinuitätsargumente': Die Frauen/Geschlechter-forschung hat in den letzten 20 Jahren wesentlich dazu beigetragen, die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu erhellen.und Leistungen von Frauen in der Geschichte und Kultur sichtbar zu machen. Diese wären weiterhin im Dunkeln geblieben, hätten Frauen nicht die Möglichkeit erhalten, Interesse an den Wissenschaften und mehr und mehr auch eine eigene Stirn gegen den Androzentrismus in Wissenschaft, Politik und Kultur zu entwickeln. Die Frauenuniversität wird den vielen Initiativen und Denkansätzen der Frauen/Geschlechterforschung ein kontinuierliches Forum zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Nachwuchsförderung bieten und dabei Formen einer Streitkultur unter Frauen sowie mit dem anderen Geschlecht erst entwickeln müssen (Aylâ Neusel). .

2. Ökologische Überlebensargumente: Feministische Wissenschafts-, insbesondere Naturwissenschafts- und Zivilisationskritik richtet sich gegen die Ausblendung von überlebenswichtigen Problemstellungen, gegen den Herrschaftscharakter von Wissenschaften, die Folgenlosigkeit einzelner Disziplinen sowie die unbedachten folgenschweren Nebenfolgen der Wissenschaften. "Zu Beginn würde, diese (Technische Uni-versität der Frauen, S. M.G.) am sinnvollsten an der Ausarbeitung von Prozeduren und Methoden der Technikbewertung am Beispiel konkreter einzelner Technologien arbeiten: Ausbildungsgänge und For-schungsschwerpunkte würden dann so lie-gen, daß die Wünschbarkeit am Anfang statt wie bisher am (meist abgeschnittenen) Ende einer Technikentwicklung läge" (Hickel).

3. Praxis- und Anwendungsargumente: Feministische Bildungs- und Ausbildungs-kritik an der akademischen Berufsausbil-dung aus Frauenperspektive zielt auf einen verstärkten Praxis- und Anwendungsbezug-Studiengänge sollen in Projektform und mit ökologischem, globalem und sozialwissenschaftlichern Zuschnitt organisiert werden.

4. Demokratisches Beteiligungsargument: Feministische Hochschul- und Institutionenkritik gilt dem elitären und hierarchischen Organisationsmodell der Universitäten als 'gendered institutions'. Sie sind entlang von Geschlechterlinien organisiert, und das (männliche) Geschlecht spielt in allen Prozessen, Praktiken, Bildern und Ideologien sowie in der Verteilung von Macht ei ne entscheidende Rolle. Die Frauenuniversität soll ein Trainingsfeld für unterschiedliche Partizipationsformen und eine gemeinsame Öffentlichkeitsgestaltung von Lehrenden und Studierenden erproben.

5. Die Frauenuniversität als umfassendes Reformexperiment ist auch notwendig, weil die Universitäten seit Jahrzehnten weitgehend reformunfähig geblieben sind. Die Frauenanteile in den Studiengängen mit minimaler Frauenpräsenz haben sich kaum erhöht. Aus all diesen Gründen ist die Frauenuniversität ein lohnenswertes Experiment mit offenem Ausgang. Die Idee der Frauenuniversität tritt zu ei. nem Zeitpunkt auf die öffentliche Bühne, da Frauenbewegung und,'Frauenpolitik ihren Höhepunkt überschritten zu haben scheinen. Die 80er Jahre waren - durch einen Prozeß der Institutionalisierung von Frauenforschung und Frauenstudien an den Hochschulen, ohne daß sich über die neuen Kommunikationsnetze der Wissenschaftlerinnen und Studentinnen untereinander hieraus für Frauen an den Hochschulstrukturen wesentlich etwas geändert hatte. Inzwischen sind ca. 70 Professuren an Universitäten der Bundesrepublik eingerichtet, die sich ganz oder teilweise mit Frauen bzw. Geschlechterforschung befassen. Die Debatte aus dem Beginn.der 70er Jahre zur Autonomie oder Institutionalisierung von Frau-enforschung ist vorläufig zugunsten der Institutionalisierung und Integration entschieden. Das Interesse an einer Separation der Frauen scheint erlahmt. Um so erstaunlicher ist das aktuelle Interesse an einer Frauenuniversität. Die Frauenuniversität soll ein breites Spektrum von Fachdisziplinen in sich vereinigen, ohne an die Disziplinstruktur gebunden zu sein. Die Natur- und Ingenieurwissenschaften sind in Großprojekte integriert und zwar ökologisch verträglich und pazifistisch orientiert. Mit den Großprojekten Emgieversorgung, Gesundheitswesen, Verkehr, Internationalismus, Städtebau, Ökologie und Kommunikation liegt ein studentischer Vorschlag vor, der einen interdisziplinären Zuschnitt der Studiengänge ernst nimmt. Studiengänge, mit deren Aufbau sofort zu beginnen wäre, könnten sein: o Politiken von Frauen o Umwelttechnologie o Management und.Organisittion o Gesundheitsforschung und -beratung. Studiengänge, für die ein weiblicher Lehrkörper erst noch aufzubauen wäre, sollten antizipatorisch über eine besondere Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses in diesen Bereichen geplant werden.

Die Frauenuniversität soll sich durch fachlich innovative Studiengänge auszeichnen, aber auch durch eine Studiengestaltung, die Motivation und Kompetenz zum Selbststudium bei den Studierenden fördert. Hierzu sind die Erkenntnisse der Hochschuldidaktik. zu den Studieneinführungsphasen, zum selbstbestimmten Lernen, An-wendungsbezug des Vermittelns sowie die Studienabschlußphase mit den heraufbeschworenen Ängsten vor Prüfungen und Berufseintritt eingehend zu berücksichtigen. Die Frauenuniversität sollte im Blick auf Europa mehrsprachig, organisiert sein und die Übergänge in den Arbeitsmarkt systematisch vorbereiten. Eine Verbindung von Fremdsprachen und Ingenieur-/Naturwissenschaften sollte den Interessen und Neigungen von Frauen entgegenkommen. Berufspraxis-Seminare und regelmäßiger Kontakt mit Berufstätigen (Frauen) im Studium sowie eine systematische Vorbereitung des Berufseinstiegs sind Teil des Studiums und der Lehre.

An der Frauenuniversität soll der Qualität der Lehre eine gleichgewichtige Bedeutung gegenüber der Forschung eingeräumt werden. Da die Frauenuniversität um ihre Studentinnen mit den etablierten Universitäten konkurriert, wird sie einen besonderen Akzent auf die Ausbildung und gute Lehre legen müssen, wenn sie sich über Qualität durchsetzen will. Ähnlich wetteifern auch amerikanische Universitäten um die besten Studierenden und werfen dabei eine gute Betreuung ihrer Studierenden in die Waagschale. In Deutschland hat die Debatte zur Qualität der Lehre einiges an den Hochschulen in Bewegung gebracht, aber an den etablierten Strukturen kann sie kaum etwas ändern. Eine Neue Hochschule lebt aber eine Weile zumindest von dem Engagement und dem Überschuß der Gründungsphase. Sie kann neu bewerten, was an anderen Institutionen erstarrt ist. Alfred Windisch hat in der FR vom 5.3.1993 eine gute Haltung zur Lehre, die sich nicht nur als Verausgabung' äußert, wie folgt beschrieben: "Wenn der Lehrende in gemeinsamer Arbeit mit den Studierenden etwas eröffnen kann, bietet er einen Weg an, aus der unbekannten, verschlossenen, ..stumpfen" Wirklichkeit eine Bedeutung herauszuholen. Als ob eine Figur aus dem Marmorblock herausgermeißelt würde, die als eine von unendlichen vielen schon immer in ihm enthalten ist. Der Lernende erkennt ein 'Bild' in der sozialen und gegenständlichen Wirklichkeit. mit ihm verbunden ist die Bedeutung eines Wissenwollens und das Angebot eines Werknuges", die Methode. (...) (Windisch 1993) Dem kann eine Frauenuniversität nur nacheifern.

Es wird eine kleine Universität sein, die aber für eine sozial heterogene Studentenschaft Sorge tragen und ihren Rassismus und Sexismus reflektieren soll. Gerade an einer Frauenuniversität sollten die sozialen und kulturellen Differenzen ewischen Frauen zur Kenntnis genommen und aufeinander bezogen werden. Eine Frauenuniversität in heutiger Zeit wird immer im Schatten der Kämpfe um Ressourcen und in hellster Aufmerksamkeit zugleich stehen. ' argwöhnisch bedacht von allen, die einen unkontrolherten 'Freiraum für Frauen' bereits als Privilegierung betrachten, die Frauen nicht zusteht. Aber wa- rum sollte die zweite Hälfte der Gesellschaft nach jahrhunderteLuger Abstinenz sich nicht mal in dieser Weise bewähren und sich der sozialen, kulturellen und intellektuellen Auseinandersetzungen stellen?

Sigrid Metz-Göckel ist Professorin am Hochschuldidaktischen Zentrum der Universität Dortmund.

Literaturhinweise: Alte. Morgaret. Hypatias Tochter. Der verleug-nete Anteil der Frauen an der Naturwinenschaft, Zürich 1987, Füller, Christian: Frauen schneiden besser ab Frankfurter Rundschau vom 17.6.1993 Hickel, Erika: Eine neue 'naturwissenschaftliche Revolution? In: Wechselwirkung. TechnikNa-turwissenschaftGesellschaft, Feb. 1993, S.43-48 Hochschul-Manifest der Frauen und die Hochschule der Frauen, Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen von NRW, Dortmund 1988 Janshen. Doris (Hg.): Hat die Technik ein Geschlecht? Denkschrift für eine andere technische Zivilisation, Berlin 1990 Metz-Göckel, Sigrid: Die Frauenuniversität. Ein notwendiges Bildungsexperiment, in: Kucklich Clarissa (Hg.): Frauen und Technik, Frankfurt/Bern 1993 . - Neusel, Aylâ: Die Frauenunivendiät. In: Schlüter, Anne/ Roloff, Christine/ Kreienbaum, Maria Anna (Hg.): Was eine Frau um.treibt. Frauenbewegung-Frauenforschung-Frauenpolitik., Pfaffenweiler 1990 Roloff, Christine: Konzeptualisierung des Versteckten. Überlegung zum Forschungsschwer-punkt Technik- und Naturwissenschaftspotentiale von Frauen"' am Hochschuldidaktischen Zentrum der Universität Dortmund. In: Schlüter, Anne/ Roloff, , Christine/ Kreienbaum, Maria Anna (Ha): Was eine Frau umtreibt. Frauenbewegung - Frauenforschung - Frauenpolitik, Pfaffenweiler 1990 Reichert, Birgit/ Ihsen, Susanne: Vorstellung ei-nes Konzepts für eine Frauenhochschule. Manuskript anläßlich des Werkstattgesprächs: Frauen-hochschule, Bonn am 13.02.1992 Schlüter, Anne: Die Hochschule der Frauen: Anachronismus, Utopie oder realistische Alterna-tive? In: Neusel, Aylâ/Voth, Helga (Hg.): Utopie ist (k)ein Ausweg. Zur Lage von Frauen in Wis-senschaft, Technik und Kunst, Frankfurt a.M./ New York 1992a dies.: Die Virginia-Woolf-Universität. Eine Mini-Utopie oder: Was traut sich eine patriarchalische Gesellschaft zu? (Manuskript 1992c) Wetterer, Angelika: Die Frauenuniversität. Über-legungen zu einer paradoxen Intervention, in: Arndt, M. u.a. (HS.): Ausgegrenzt und mittendrin. Frauen in der Wissenschaft, Berlin 1993

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